Wann krähte der Hahn wirklich?

Peters Denial, © Carl Bloch

Es ist einer der berühmtesten (und menschlichsten) Momente in der Bibel: Während Jesus zum Tod verurteilt wird, und ihm von Dienern (des jüdischen Hohen Rats) ins Gesicht geschlagen wird, ist Petrus nicht weit weg, nämlich „unten im Hof“. Die Leute erkennen ihn als einen der Jünger dieses Jesus aus Nazareth. Und Petrus leugnet - einmal, zweimal, und beim dritten Mal geht es so weit, dass er unter „Fluchen und Schwören“ darauf besteht: „Ich kenne diesen Menschen nicht, von dem ihr redet.“

So steht es im Markus-Evangelium im 14. Kapitel. Der Kleinmut von Petrus ist nicht zuletzt deswegen so schmerzhaft, weil Jesus ihn vorausgesehen hat: „Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Als Petrus sich an diesen Satz erinnert, beginnt er zu weinen.

Die literarische Qualität der Szene ist so hoch, dass man sie gern für historisch halten würde. Allerdings gibt es ein paar Auffälligkeiten, über die es sich nachzudenken lohnt: im Detail läuft da nämlich etwas unrund. Der Hahn soll zweimal krähen, und Petrus soll Jesus dreimal verleugnen. De facto hört man den Hahn aber nur einmal krähen. In Vers 72 heißt es: „Gleich darauf krähte der Hahn zum zweiten Mal“, von einem ersten Mal war aber gar nicht die Rede. Die Übersetzung der Lutherbibel 2017 löst das mit einem Zusatz in Vers 68: Nach der ersten Leugnung geht Petrus „hinaus in den Vorhof, und der Hahn krähte“. Die Einheitsübersetzung erwähnt hier nur den Gang in den Vorhof, im verbindlichen griechischen Text steht das kai alektor ephonesen im Klammer.

Der Bonner Neutestamentler Daniel Lanzinger hat in einem aktuellen Aufsatz die Debatte plausibel zusammengefasst, und zugleich einen sehr originellen Vorschlag gemacht: für ihn steht der Hahn in der Geschichte nämlich für den römischen Kaiser Nero. Die ganze Episode der Verleugnung Jesu durch Petrus wird durch diese Deutung noch kunstvoller, und zugleich löst Lanzinger auch das Problem der zwei Hahnenschreie (von denen noch dazu einer eigentlich fehlt).

Das Argument in aller Kürze: Das Markus-Evangelium ist demnach um das Jahr 70 in Rom entstanden, also kurz nach der Christenverfolgung durch Kaiser Nero. Der Verfasser schrieb für eine Gemeinde, die gerade Schweres durchgemacht hatte – und nicht alle hatten es durchgehalten, manche waren vom Glauben abgefallen (lapsi ist das lateinische Wort für Gefallene), manche waren davongelaufen. Petrus hingegen starb, so heißt es, während der Verfolgung durch Nero als Märtyrer.

Der Verfasser des Markus-Evangeliums schrieb also mit dem Wissen um die aktuellen Ereignisse im Hintergrund, und dementsprechend gestaltete er die Passage. Lanzinger bringt zuerst eine Reihe von guten Argumenten aus der Literatur über Nero, dass der Kaiser tatsächlich vielfach mit einem Hahn in Verbindung gebracht wurde (zum Beispiel war Nero ein so schlechter Sänger, dass er selbst die Hähne um den Schlaf brachte).

Für Lanzinger kräht deswegen der Hahn im Markus-Evangelium nicht einmal oder zweimal, wie es im Text steht, sondern dreimal: das dritte Mal kräht er in Rom, und dieses Mal ist es Nero persönlich, an den die Leser sofort dachten, wenn sie von einem Hahn lasen. Und dieses Mal ist Petrus stark.

In der Passionsgeschichte bei Markus passieren die wichtigen Dinge alle dreimal, deswegen braucht es auch diesen dritten Hahnenschrei. Der Satz klingt ja auch für Laien ein wenig holprig: „Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Allerdings ist die Lösung, die Lanzinger vorschlägt, literarisch so raffiniert, dass man sie fast schon als experimentell bezeichnen muss. Sie verlangt eine Leserschaft, die mitarbeitet.

Das Problem mit dem Mitzählen bleibt Lanzinger allerdings erhalten: denn im Evangelium kräht der Hahn zweimal (oder gar nur einmal), Petrus leugnet aber dreimal, Jesus zu kennen. Wenn man Neros Christenverfolgung als das dritte „Krähen“ versteht, wie Lanzinger es vorschlägt, dann hätte Petrus eine dritte Chance bekommen, Jesus zum vierten Mal zu verleugnen. Es bleibt also unrund. Das hat aber eben damit zu tun, dass Texte immer offen sind auf ihre Leser.

Daniel Lanzinger: Petrus und der singende Hahn: Eine zeitgeschichtliche Anspielung in der markinischen Verleugungsperikope (Mk 14,54.66-72), in: ZNW Zeitschrift für neutestamentliche Wissenschaft 2018; 109 (1): 32-50

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