Viele Menschen haben Angst vor Schlangen. Im Mitteleuropa kommt man zwar selten in eine Situation, in der man auf eine Schlange trifft. Das ändert aber nichts daran, dass es sich um ein unheimliches Tier handelt. Es gibt eine „biologische Urangst“ vor Schlangen, sagt die Biologin Maximiliane Schumm. Die biblische Schöpfungserzählung scheint von diesem Grundgefühl schon zu wissen, wendet es aber in eine überraschende Richtung: „Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte“, heißt es in Gen 3,1 am Beginn der sogenannten Sündenfallgeschichte. Adam und Eva befinden sich im Paradies, in der Mitte des Paradieses steht ein Baum, von dessen Früchten sie nicht essen dürfen. Es ist die Schlange, die Eva dazu bringt, sich über diese Anweisung hinwegzusetzen. Eva gibt dann auch Adam etwas ab von der Frucht. In einer ersten Konsequenz erkennen sie daraufhin, dass sie nackt sind, und sie erfinden die Bekleidung (vorerst aus Feigenblättern).
Heute denkt man bei der „Frucht“ meistens an einen Apfel, in der Bibel ist davon aber noch keine Rede. Wir wissen nicht, an welchen Baum konkret die jüdischen Verfasser und Redakteure der Genesis dachten. Und auch mit der Schlange ist die Sache nicht eindeutig. Das hebräische Wort, das in Gen 3,1 verwendet wird, lautet Nachasch. Der Nachasch, im Hebräischen ist das Wort männlich. Der Nachasch taucht unvermittelt auf, und spricht zu Eva, er verführt sie – in der Szene steckt deutlich auch Angst vor der weiblichen Sexualität. Gott bemerkt schließlich, dass sich mit Adam und Eva etwas verändert hat, die Schlange dient nun schon als Ausrede: sie „betrog mich“, sagt Eva. Zur Strafe wird die Schlange „verflucht“: „Auf deinem Bauch sollst du gehen und Staub fressen dein Leben lang“.
Das legt eine Frage nahe. Ist der Nachasch vorher nicht gekrochen? Ging er vielleicht sogar aufrecht? Der Wiener Bibelwissenschaftler Konrad Kremser stellt jedenfalls fest, das „das Wesen“, von dem in Gen 3,1 die Rede ist, noch keineswegs so eindeutig eine Schlange ist, wie man es später ganz selbstverständlich annahm. Was war der Nachasch aber dann?
Das erste irritierende Indiz ist der Vergleich mit den „Tieren des Feldes“ und mit dem „Vieh“. Die Verse Gen 3,1 und 3,14 klingen so, als wäre der Nachasch auch ein Tier des Feldes, in der Bibel werden Schlangen aber fast durchwegs in einer eigenen, anderen Gruppe geführt, eben bei den Kriechtieren. Im Buch Levitikus wird festgelegt, dass „alles auf dem Bauch Gehende“ nicht gegessen werden darf, diese Tiere sind „abscheulich“. Aber der Nachasch war vielleicht vor der göttlichen Strafe etwas ganz anderes als danach. Kremser jedenfalls findet, dass das Gehen „auf dem Bauch“ nicht zu seinen natürlichen Eigenschaften gehört. Man darf sich das alles nicht zu konkret vorstellen, denn das Einzige, was wir zur Verfügung haben, sind Vokabeln, auf Hebräisch, Altgriechisch und Lateinisch.
Ungewöhnlich ist natürlich auch, dass der Nachasch spricht. in der ganzen jüdischen Bibel gibt es nur noch ein anderes sprechendes Tier, nämlich Bileams Eselin, und in diesem Fall wird ausdrücklich dazu gesagt, dass JHWH ihren Mund „öffnete“. Kremser diskutiert noch einen anderen Zusammenhang: Im Buch Jesaja sieht der Prophet den Herrn (also Gott) in einer Vision auf einem Thron sitzen, neben ihm zwei Seraphim, also Engel. Diese kann man sich „möglicherweise“ wie ägyptische Uräusschlangen vorstellen. Und die Seraphim können auch sprechen, sodass für den Bibelwissenschaftler hier ein Zusammenhang zumindest denkbar erscheint: er sieht den Nachasch in der „Nähe solcher Wesen“. Demnach wäre die Schlange schon sehr früh mit der Vorstellung von Engeln verbunden – später erfand die Tradition die Vorstellung von einem Engel, der zum Teufel wurde: Luzifer.
Unter den frühen Christen gab es dann übrigens eine Gruppe, die der Schlange in der Genesis göttliche Eigenschaften zuschrieben: Die Ophiten oder Naassener ließen sich dabei auch von ägyptischen Vorstellungen eines Schlangenkults inspirieren. Das ist die Kehrseite der Angst vor Schlangen: sie werden zu Objekten der Verehrung.
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